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Unsere Fastnachtszüge und ihre Zugleitung

Ph. Kepplinger

Nach langen Jahren emsiger Tätigkeit für den MCV, und hier in erster Linie für die Rosenmontagszüge, hat sich 1994 Friedel Eberhard als „Närrischer Zugmarschall“ in den Ruhestand begeben. Wie jeder weiß, hatte er dieses verantwortungsvolle und arbeitsreiche Amt von seinem Vater, dem „Alten Fritz“, übernommen. Offiziell geschah dies 1971, doch hatte er diese Arbeit schon seit vielen Jahren in wechselndem Maße mitgetragen.

Genau wie der Sohn war auch der „Alte Fritz“ ein hervorragender Organisator. Schon 1927 gehörte er zu den zehn Männern der Zugleitung unter Karl Weis, die sich darum kümmerten, dass nach der Zwangspause durch den Ersten Weltkrieg wieder in Mainz ein Rosenmontagszug auf die Beine kam­­ – und auch laufen konnte.
Die Übergabe des Zugmarschall-Stabes in jüngere Hände soll uns Anlass sein, der Geschichte unserer Fastnachtszüge und ihrer Zugleitung einmal nachzuspüren.

Die Tradition der Fastnachtsumzüge in Mainz ist weit älter als der MCV. Allerdings wissen wir davon nur sehr wenig und schon gar nichts Rühmliches. Bereits im mittelalterlichen Mainz gab es Klagen wegen des schlechten Benehmens weinseliger junger Burschen und nächtlicher Streitereien mit der Stadtwache in der Fastnachtszeit. Nicht viel anders scheinen die Zustände noch zu Beginn des Neunzehnten Jahrhunderts gewesen zu sein, da betrunkene Randalierer und schäbig kostümierte „Spaßvögel“ einzeln oder in Gruppen durch die Straßen zogen und den ordentlichen Bürgern die Fastnachtsfreude trübten.

Damals versuchte ein junger, aus Koblenz zugereister Sattler namens Nikolaus Krieger, einige Ordnung in das fastnachtliche Durcheinander zu bringen und die verschiedenen Gruppen zu einem gemeinsamen Umzug zu veranlassen, was ihm mit Hilfe der gleichzeitig gegründeten „Mainzer Ranzen-Garde“ auch vortrefflich gelang.

Initiator und erster General dieser Garde war der bekannte Mainzer Großkaufmann Jean Baptist Kertell, eine auch im politischen Leben angesehene Persönlichkeit, damals 66 Jahre alt. Ihn und den 23-jährigen Sattler aus Koblenz dürfen wir mit Recht als die Urväter der organisierten Mainzer Fastnachtszüge ansehen. Das glückliche Zusammenwirken beider, trotz aller Unterschiede des Alters, des Standes und der Herkunft, ist typisch bis heute für die Mainzer Fastnacht und ihre Fastnachter.

Übrigens war jener Umzug von 1837 unter dem Motto „Krähwinkler Landsturm“ für die Entwicklung der Mainzer Fastnacht von besonderer Bedeutung. Die Tatsache, dass alles so reibungslos ablief, war mit ausschlaggebend, dass die Großherzoglich Hessischen Behörden in Darmstadt ihr Misstrauen überwanden und einem Antrag Mainzer Bürger stattgaben, einen „Mainzer Carneval-Verein“ gründen zu dürfen, was dann bekanntlich 1838 auch geschah.

Ein „Offizielles Zugprogramm“, wie wir es heute kennen, gab es anfangs noch nicht. Doch wissen wir aus mancherlei Beschreibungen, dass dieser erste große Fastnachtszug von 1838 mit einer „Installation des Helden Carneval“ auf dem Speisemarkt, dem heutigen Marktplatz, abschloss; auch sind die Hauptakteure dieses Spektakels bekannt.

Inwieweit sie mit der Ausrichtung des Umzuges beschäftigt waren und wer der „Owwermaschores“ war, lässt sich nur abschätzen. Mit Sicherheit ist Nikolaus Krieger, der „Zugereiste“, der auch zu den Vereinsgründern zählte, als Mittelpunkt der Organisatoren anzunehmen.

Um ihn herum gab es „Fachkräfte“ genug; Architekten, Handwerker, Maler und musisch begabte Laien, wie der populäre Schornsteinfeger Weiser, der als Poet, Scheierborzeler und Zeichner stadtbekannt gewesen war; oder den „Sprecher des Comites“ Andreas Gossi, im Hauptberuf (höchst unbeliebter) städtischer Marktaufseher, der ein hochbegabter Illustrator, ein „Hogarth der Narrheit“ war, wie die Titelblätter der ersten „Narrhalla“-Jahrgänge beweisen. Hier ist auch einer der ersten MCV-Präsidenten, der Bildhauer Franz Josef Scholl, zu nennen, ebenso der junge Maler Ludwig Lindenschmit oder der betagte Nikolaus Müller, Universaltalent und Nestor im Kreise Mainzer Kunstschaffender, der die Fahne des ruhmreichen Ranzen-Bataillons gemalt und gestiftet hatte.

Bis etwa 1860 wurden die Fastnachtszüge auf dem Schlossplatz aufgestellt. Zuvor sogar in der ehemaligen kurfürstlichen Reithalle, der heutigen Steinhalle unseres Landesmuseums. Dort wurden auch regelrechte Proben abgehalten, denn in die Züge hatte man vielfach szenische Darstellungen mit Dialogen, Musik und Liedern einbezogen, die auf dem Marktplatz zur Aufführung kamen. Zitieren wir aus einem Pressebericht von 1838: „Man denke sich jedes der im Programme verzeichneten Glieder des Zuges, der Rolle entsprechend, reich und geschmackvoll costümirt, die meisten zu Pferde oder, wo es die Rolle mit sich bringt, auf eigens erbauten Wagen; so hat man, bei etwas reger  Phantasie ein schwaches Bild von unserem, in der Carnevalsgeschichte Epoche machenden Zuge. Von der Reitbahn aus zieht die Gesellschaft auf den Schloßplatz, wo sie sich ordnet. Nach dem Umzuge auf dem weiten Platze beginnt ihre Procession durch die Straßen der Stadt und gelangt über einen Theil der Großen Bleiche, die Flachsmarktstraße, den Flachsmarkt und die Schustergasse, auf den Markt, wo der prachtvolle Thron für ihre Narrenmajestät aufgeschlagen ist. Der Thron fand allgemeine Bewunderung“ …

Es folgt eine ausführliche Schilderung der agierenden Figuren, wie der „Träger der Sonne“, der Hofmaler Schmierwuth nebst seinem Lehrling Kunstdappes usw. Mit Blick auf den noch ledigen „Held Carneval“ wurde unter anderem auch ein „Heiratsbureau“ im Zuge mitgefahren.
Ale Gruppen und Wagen nahmen nach einem (noch heutevorhandenen) Plane auf dem Marktplatz ringförmig Aufstellung und ein vielseitiges Spektakel begann. Dabei wurden dem Helden Carneval auch die verschiedenen Heiratskandidatinnen vorgestellt.

Um es vorwegzunehmen: Im Jahr darauf wurde an gleichem Ort der Prinz mit der Jungfrau Moguntia vermählt – und wieder eine Fastnacht später wurde der Erbprinz geboren. „… Diese Geburt war eine der schönsten Scenen aller Carnevalsfeste. In einer übergroßen Flasche befand sich das Embrio des prinzlichen Canevalssprößlings. Niemand wußte die Flasche zu öffnen, die Ärzte, Geburtshelfer, Wahrsager, Sterndeuter und sonstige wissenschaftliche Unberufene quälten sich ab, bis ein einfacher Carnevalese das Räthsel löste. Mit einem Knalle springt der Stöpsel: der Geist in Form von Tauben fliegt gen Himmel, die Flasche verwandelt sich in eine Sonnenblume, indem der obere Theil der Flasche in Blättern herabfällt, und im Innern der Blume liegt der neugeborene Prinz, die ganze Welt anlachend. Die riesigen Ammen nehmen ihn in Empfang, stillen ihn, er lernt im Laufsessel schnell laufen, die Doktoren der Hochschulen trichtern ihm schnell die Wissenschaften ein, es wächst ihm Haar auf der Zunge, ehe er hinter den Ohren getrocknet ­– er springt aufs Pferd und führt die Welt an.“ Soweit der Historiker Prof. Alfred Börckel in seinem Werk „Mainzer Geschichtsbilder“. Die Rolle des neugeborenen Prinzen spielte übrigens der närrische Tausendsassa Karl Weiser.

Im 3-Bretzel-Jahr 1888 saß das Komitee auf einem Elefanten

In manchen Jahren wurden illustrierte Zugprogramme verkauft. Auf ihnen war der ganze Festzug in seiner Reihenfolge mit Gruppen, Wagen und Garden dargestellt. Am bekanntesten dürfte heute das handkolorierte Leporello von 1857 sein, dessen verkleinerter Nachdruck von der Stadt Mainz verdienten Fastnachtern verliehen wird. Das Original gehört zu den Raritäten des Mainzer Fastnachts-Archivs und besteht aus einem über fünf Meter langen, gefalteten Papierstreifen. An ihm lässt sich erkennen, wie viele Ideen, welcher Aufwand und Vorbereitungen schon damals zur Gestaltung eines Fastnachtszuges notwendig waren. Da gibt es einfach maskierte Kutschen, aber auch als Schiffe aufwändig verkleidete Wagen für Gruppen und Vereine als närrische Gesandtschaften usw. Dazwischen Motivwagen zu aktuellen Themen. Wir sehen sogar eine „Verschönerungsmaschine“, sprich „Altweibermühle“, ein lustiges Sujet, das auch in späteren Zügen noch gerne gebracht wurde. Am kuriosesten war wohl die Parodie auf die damals grassierende Damenmode. Hierzu hieß es: „Eine Riesen-Crinoline, in deren Innern Musikanten verborgen waren, sandte, von unsichtbaren Kräften bewegt, lächelnd Kußhände ins Volk.“ Unsere heutigen Wagenbauer können nur mit wehmütigem Lächeln ihrer närrischen Vorfahren gedenken, für die es keine elektrischen Straßenbahndrähte und somit auch keine Grenzen nach oben gab.

Die Spurensuche nach den Arrangeuren und Initiatoren dieser Züge wird dadurch erschwert, weil man mit der Nennung von Namen äußerst sparsam war. Oft wurden nur Abkürzungen oder Spitznamen gedruckt. Die Stadt war ja um ein Vielfaches kleiner als heute; sie reichte von der Vilzbach bis zur Hinteren Bleiche und vom Kästrich bis zur Rheinstraße, die das Flussufer bildete. Die Menschen kannten noch einander, und jeder wusste ohnehin, wer gemeint war.
Auf eine andere Eigentümlichkeit jener Zeit sei hier noch aufmerksam gemacht, nämlich, dass den „holden Närrinnen“ in der Öffentlichkeit keinerlei aktive Rolle zukam. Schon gar nicht in der Straßenfastnacht. Auch Kinder hatten anfangs im Fastnachtszug nichts zu suchen. Erst mit der Gründung der Kleppergarde durch Carl Dremmel trat 1856 hier eine Änderung ein.

Sollten im Zug etwa Waschweiber auftreten oder die „weibliche Besengarde“ anrücken, dann wurde das von maskierten Männern besorgt. Das galt für die Marketenderinnen der Garden, für die Frauenrollen der Fastnachtsstücke und für die Prinzessin samt ihrem „weiblichen“ Hofstaat. Noch 1897 wurde die Mainzer Fastnachtsprinzessin von einem Mann dargestellt und zwar von dem Sohn des damals amtierenden Oberbürgermeisters Dr. Gassner.

Der „Veilchenprinz“ Hugo Hilge im 75. Jubiläumsjahr des MCV 1913
MCV Wappenfeld

Ebenso seltsam mag es uns heute erscheinen, dass sich der Carneval-Verein jeweils nach den Fastnachtstagen auflöste, um sich gegebenenfalls im November neu zu konstituieren – oder auch nicht. Teuerungen, Kriegs- und Krisenzeiten, Saalmangel oder sonstige Widrigkeiten waren oftmals Anlass für kurze oder längere Zwangspausen. Am meisten gefährdet waren die kostenträchtigen Fastnachtszüge, und oft genug mussten sich die Mainzer mit einer „maskierten Kappenfahrt“ begnügen oder ganz und gar in den Mond gucken.

Jedoch fanden sich nach solchen, oft mehrjährigen Fastnachtspausen immer wieder neue, beziehungsweise erneuerte Arbeitsgruppen und Ideenspender, deren Intentionen auch das äußere Erscheinungsbild des Festes beeinflussten, vom Entwurf der Kappe, des Sterns, der Orden bis zur Gestaltung der Saaldekoration und natürlich auch des Fastnachtszuges.

Man kann diese Generationswechsel beispielsweise recht gut an der unterschiedlichen Gestaltung und Ausschmückung der Theaterplakate zu den Fastnachtspossen des letzten Jahrhunderts erkennen.
Auch wurde unser MCV-Wappen sichtlich von den verschiedenen Auffassungen der jeweiligen Gestalter beeinflusst.

Neben der Narrenmühle, der Elf und dem Mond wechselten Pokal, Rose, Eule, und das Mainzer Rad, als viertes Attribut, mehrmals die Wappenfelder, bis man sich vor dem Ersten Weltkrieg auf die heute gültige Schilderung mit dem Apfel und der daran nagenden Wespe festlegte.

Beim 25. MCV-Jubiläum 1863 geriet die Zugleitung in arge Verlegenheit. Ein Redner hatte bei einem Sitzungsvortrag das preußische Militär so sehr auf die Schippe genommen, dass der Kommandant der Bundesfestung Mainz durch Garnisonserlass die übliche Gestellung von Musik und Pferden für den Fastnachtszug kurzerhand untersagte. In ihrer Not wandte sich die Zugleitung an den Hessischen Großherzog in Darmstadt. Der aber ließ seine Mainzer nicht im Stich, schickte Pferde und Musik vom großen Woog an den Rhein und der Zug war gerettet. Hier aber sangen die Narren:

„Die Musik kimmt von Darmstadt her,
jetzt brauche mir kää Preiße mehr –
fiderallala, fiderallala –
Kää Musik unn kää Geil!”

Als die neuerbaute Stadthalle eingeweiht wurde, das war 1884, kam ein junger, frischgebackener Architekt aus Karlsruhe nach Mainz, um hier zu arbeiten. Er hieß Konrad Sutter, wurde schnell heimisch und fastnachtsaktiv. Der große Saal der Stadthalle mit seinen bisher ungewohnten Dimensionen bedurfte zur Fastnachtszeit einer entsprechenden Dekoration. Hier war Sutter, der auch ein versierter Maler und Zeichner war, in seinem Element. Er schuf Narrenpodien mit fülligen Drapierungen, Säulen und Figuren im schwülstigen Geschmack der Gründerzeit. Vor die vielen Pfeiler der Galerie setzte er riesige plastische Pappfiguren, die von den Mainzern „Riwwelmattese“ genannt wurden.

Sutter avancierte rasch ins Komitee und zum „Närrischen Baurath“. Bis zur Jahrhundertwende stand er an der Spitze des „Zug-Comites“. Bei ihm begegnen wir 1890 zum ersten Mal der Titulierung „Zugsmarschall“.
Hier müssen wir vermerken, dass er und seine Helfer auch für die großen historischen Festzüge 1894 und 1900 verantwortlich zeichneten, die anlässlich des XI. Deutschen Bundesschießens und der Gutenbergfeier viele in- und ausländische Besucher nach Mainz brachten und in der deutschsprachigen Presse starke Beachtung und großen Beifall fanden.

In einer Ordensvitrine im MCV-Haus sieht man eine hübsche Anstecknadel mit vierfarbiger Bandschleife und dem Aufdruck „Carneval-Zug-Commission 1902“. Daneben ein entzückendes kleines Narrenschiff als Silberbrosche mit der Aufschrift „Zug-Comite“, leider ohne Jahreszahl und ohne Hinweis auf den Künstler. So darf man rätseln, ob der Entwurf noch von Konrad Sutter oder schon von Philipp Zeltner stammt. Er könnte aber auch dem Bildhauer Edmund Schmahl zuzuschreiben sein oder einem anderen jungen Künstler der nachrückenden Zugleitungsgeneration wie Peter Thaddäus Kessler oder den Lehrern an der Kunstschule Prof. Franz Mitterbauer und Prof. Bruno Panitz. Seit der Jahrhundertwende sind die 10 bis 15 Persönlichkeiten der „Zug-Commission“ oder des „Zug-Comites“ weniger anonym und leichter zu ermitteln. In der Nachfolge Sutters trat der „Närrische Baurath“ Adam Allendorf jr., seines Zeichens Maler, Tüncher und Stuckateur; ihm folgte der Hoffotograf Hans Metz (MCV-Präsident 1902-1905). Zu den Jüngern der bildenden Künste gesellten sich auch Mainzer Geschäftsleute, Vertreter der Fuhrherren-Innung und – als Spender närrischer Würze – Liederdichter und Bütten-Asse wie Jean Dremmel oder Henri Bender, der spätere große MCV-Präsident in schwerer Zeit.

Der Erste Weltkrieg 1914-1918 mit all seinen Leiden und dem nachfolgenden Desaster, mit der Rheinlandbesetzung durch die Siegermächte, Beschlagnahmungen, die Ausweisungen Mainzer Bürger, Inflation und Arbeitslosigkeit hatten für viele Jahre dem Bajazz die Laterne ausgeblasen.

Erst 1925 wagte der MCV einen bescheidenen Neubeginn im „Frankfurter Hof“. Auf einen Rosenmontagszug aber mussten die Mainzer noch zwei Jahre warten. Jetzt war es der närrische Sekretär und Protokoller Karl Weis, dem man die Zugleitung anvertraut hatte. Weis war ein unermüdlicher, stiller Schaffer mit einem großen Herzen und einem kleinen Ledergeschäft in der Korbgasse. Schon 1906 hatte er der Zugleitung angehört und war Mitglied der „Elferkommission“. Das war ein Arbeitskreis, der sich kommissarisch für die MCV-Belange einsetzte, wenn sich der Verein traditionsgemäß nach der Fastnacht wieder auflöste. Wie auch heute musste z. B. die „Kammer“ versorgt werden. Nur gab es damals keine großzügige MCV-Halle, auch kein MCV-Haus, nicht mal eine ständige Geschäftsstelle. Die großen Dekorationsteile für das Podium in der Stadthalle, die „Riwwelmattese“, darunter sechzehn Riesenelefanten, Requisiten, Kostüme, Fahnen und „Dickköpp“ waren mehr schlecht als recht in der Karmeliterkirche verstaut, die seit der Auflösung des Ordens 1802 zunächst als Kaufhaus und dann als Rumpelkammer diente.

Noch bevor der MCV 1925 wieder offiziell auf der Bildfläche erschien, musste der ganze Krempel dort ausgeräumt werden, weil ja die Karmeliter 1924 Kloster und Kirche wieder übernahmen. In der Stadt fand sich kein Platz, aber in Kastel konnten in der „Reduit“ sichere Räume gefunden werden, in die Karl Weis mit seinen Helfern die Kammer unterbringen konnte. Auch das ist ein Stückchen Mainzer Fastnachts- und Zugleitungsgeschichte!

„Der Schuh, der uns nicht drückt“. Besetzung Club 13, 1928

Während der Fastnachtszeit wurde in einem gerade leerstehenden Ladenlokal eine Geschäftsstelle für den Kartenverkauf eingerichtet. So z. B. in der Stadthausstraße oder am Gutenbergplatz, öfter auch im Bassenheimer Hof und sogar in der Holztorschule. Die Zugleitung tagte bzw. nächtigte vorzugsweise im Weinhaus Kirsch in der Holzstraße. Dort gab es im Nebenzimmer Platz für die vielen Besprechungen und die endlose Zuglegung – und die besten Rostbraten.

Den alten kuriosen Brauch, am hellen Tage entlang des Zugwegs die Gaslaternen anzuzünden und hinterher wieder auszulöschen, hatte man 1927 nicht wieder aufgenommen. Dafür wurde das schöne Wetter in Gestalt vieler goldener Sonnen auf langen Stangen mitgetragen. Im Jahr darauf feierte der MCV seinen 90. Geburtstag. Der Zug stand unter dem Motto: „Alles gratuliert!“ Als Zugmarschall ist im Programm nicht etwa Karl Weis genannt, sondern „Graf Kasper von Gunsenum, der Tapezierermeister Jos. Kasper, der allerdings der Zugleitung weder vorstand noch ihr angehörte. Er agierte lediglich als stattliche Gallionsfigur, hoch zu Ross an der Spitze des Zuges, gleich hinter den in den Fastnachtsfarben angestrichenen städtischen Kehrmaschinen.

Auch Ernst Falk und Valentin Madler, der „Haas“, schlüpften später in diese Rolle und in die schöne weiße Rokokko-Uniform, um mit dem Dreispitz in der Hand elegant das Publikum zu grüßen, denn das „Helau“ war damals noch nicht aus seiner Düsseldorfer Heimat nach Mainz übergeschwappt. Die Herren der Zugleitung fuhren in Chaisen paarweise vor ihren jeweiligen Abschnitten her.

Als Wurfmaterial waren neben Bonbons besonders die „Streißjer“ begehrt, kleine Mimosengebinde, die eigens aus dem sonnigen Süden, zusammen mit Apfelsinen, als „Wurf-Orangen“ importiert worden waren; eine Sitte oder Unsitte, über die sich schon 1888 ein „hart getroffener“ Journalist geärgert hatte.

In der Liste der Zugleitungsmitglieder wurde zum ersten Mal der Bildhauer Ludwig Lipp genannt. Lipp war ein hervorragender Modelleur und bekannt als Spezialist für Theaterplastiken aus Pappmaché. Als Fastnachter fungierte er auch im MCC-Komitee. Zusammen mit Prof. Panitz gab er dem seit 1865 aus den Zeitungsanzeigen bekannten, etwas gnomenhaften MCV-Bajazz eine neue, idealisierte schlanke Gestalt, mit graziöser Leichtigkeit Zepter und Laterne schwingend. Aber noch aus einem anderen Grund müssen wir ihn hier erwähnen, weil er nämlich der Schöpfer der „Määnzer Schwellköpp“ war. Im bitterkalten Rosenmontagszug von 1929 stellten sie sich erstmals zur Freude des Publikums vor und sind bis heute ein typischer Bestandteil der Mainzer Fastnachtszüge geblieben. Das Herzstück der damaligen Zugleitung, der nimmermüde Karl Weis, verstarb 1931 plötzlich mit erst 52 Jahren. Henri Bender, der MCV-Präsident, trat zunächst an seine Stelle, um sie dann an Fritz Eberhard weiterzugeben.

Wieder eine neue Epoche.

Wegen schlechter Wirtschaftslage gab es 1931 und 1932 keine Rosenmontagszüge. Fritz Eberhard, der neue Vorsitzende der Zugleitung, griff 1933 die Tradition der Neujahrsumzüge wieder auf, die in der Nachkriegszeit abgerissen war.

1933 war aber vor allem das „Jahr der Nationalsozialistischen Erhebung“ – oder auch der nationalen Verstandestrübungen mit seinen makabren Folgen. In unsrem MCV-Jubiläumsbuch „Bürgerfest und Zeitkritik“ ist jene Epoche von Friedrich Schütz trefflich beschrieben.

Präsident Henri Bender teilte auf der Generalversammlung von 1934 mit, dass der Mainzer Carneval-Verein künftighin als „eingetragener Verein“, also das ganze Jahr hindurch, bestehen werde. Er lud die Narrhallesen ein, gegen einen Monatsbeitrag von Mk 1,- förderndes Mitglied des MCV e.V. zu werden.

Auch gab es nun eine ständige Geschäftsstelle und zwar in der Dominikanerstraße Nr. 6. Die Räume waren nicht sehr groß, und die Zugleitung musste zusammenrücken. Im Keller waren die Schätze des MCV-Archivs untergebracht. Auch erinnere ich mich, dort große Gemälde mit Szenen aus Fastnachtszügen gesehen zu haben, die vormals zur Ausstattung eines Cafés gehörten.

Die Kammer in Kastel wurde vorbildlich von Peter Spangenmacher betreut. Auch er war einer von den unablässig in der Stille wirkenden Geistern des MCV und „seiner“ Prinzengarde.

Alles rüstete auf das „Hundertjährige“ zur Fastnacht 1938, bei der es erstmals wieder ein Prinzenpaar geben sollte, diesmal aber mit einer „richtigen“ Prinzessin.

Der Zug wurde entsprechend prächtig ausgestattet, ohne dass die Einflussnahme der Nazi-Propaganda verhindert werden konnte.

Zugkommission um 1930. V.l.n.r. stehend: Bruno Panitz, Christian Musel, Christel Müller, Philipp Kepplinger, Otto Neumann, Philipp Mertes, Janes Plenk, Anton Pleyer, Fritz Eberhard. V.l.n.r. sitzend: Heinrich Wirges, Anton Bernhard, Andreas Weber, Henri Bender, Karl Weis

Zugprogramm Nr. 17: „Närr. Kriegsminister, Zugmarschall Graf Fritz von Eber zu Hard, Herr von Kwak auf Erdal und Ingelheim-Au.“

Ihm standen 13 Männer der Zugleitung zur Seite. Im folgenden Jahr wurde nur noch ein Mitarbeiter namentlich im Zugprogramm erwähnt.

Es war dies der letzte Fastnachtszug vor dem bitteren Ende.
Wieder eine neue Epoche.

Es fällt schwer, in einer Chronik unserer Fastnachtszüge die folgenden Jahre kommentarlos zu überspringen, als wenn nichts gewesen wäre.

Der erste Zug nach dem Zweiten Weltkrieg bewegte sich durch eine Ruinenstadt. Es grenzt an Zauberei, dass er 1950 überhaupt zustande kam. Vom alten Fundus war praktisch nichts mehr vorhanden. Die Kammer auf der anderen Rheinseite in der „Amerikanischen Zone“ war zwar von Bomben leidlich verschont geblieben, aber ausgeplündert. Die schäbigen Reste gelangten auf geheimnisvolle Weise, an den Grenzkontrollen vorbei, nach Mainz. Peter Spangenmacher verstaute sie irgendwo in einem Trümmerkeller der Holzstraße und bewachte sie wie der Lindwurm den Nibelungenschatz. Er zeichnete auch zusammen mit Anton Metz gegenüber den Besatzungsbehörden verantwortlich für die Zugleitung. Die Geschäftsstelle in der Dominikanerstraße existierte nicht mehr. Auch das MCV-Archiv und historisches Notenmaterial waren unwiederbringlich dahin. Die Zugleitung tagte meist im nachkriegsmäßig wiedererstandenen Weinhaus Kirsch. Die Wagen wurden an den verschiedensten Stellen, meist im Freien, zusammengebaut. Es war schon ein Fortschritt, dass es dem „Alten Fritz“ gelang, auf der Ingelheimer Aue große Zelte für den Wagenbau aufstellen zu lassen.

Allerdings waren dort oft die Farben eingefroren, oder der Gips wollte nicht trocknen. Primitive Ölöfen sollten Abhilfe schaffen; oft mit dem Erfolg, dass es nachts dicke Rußflocken auf das Werk des Tages schneite. Dennoch war jene Zeit, die ständig zum Improvisieren zwang, in der man krumme Nägel wieder gerade klopfte, eine der schöpferischsten Etappen in der Geschichte unserer Fastnachtszüge und ihrer Zugleitung. Im Juli 1951 war unsere Stadt Gastgeber für das 13. Deutsche Sängerbundesfest. Vorgesehen war natürlich auch ein großer Festzug. Wer musste ihn auf die Beine stellen? Sangesbruder Fritz Eberhard! Wen hatte er im Gefolge? Seine Zugleitung!

Fritz Eberhard

Ein Hauptanliegen war, bei diesem Festzug alles zu vermeiden, was irgendwie an Rosenmontagszug und Fassenacht hätte erinnern können. Aber es gelang recht gut. Niemand bemerkte zum Beispiel, dass der junge Mozart unter den barocken Säulen des Komiteewagens von 1950 musizierte. Nur als unsre Hofsänger in Kostüm und Maske der würdigen „Meistersinger von Nürnberg“ vorüberfuhren, soll ihnen aus dem Publikum das eine oder andere „Helau“ zugeflogen sein.

Ähnliche, absolut außerfastnachtliche Ehren kamen mit der 2000-Jahrfeier der Stadt 1962 auf die Zugleitung zu. Ihr Häuptling Fritz Eberhard wurde sogar in persona beschlagnahmt. Er bekam ein eigenes Büro im „Pulverturm“ und hatte die dankenswerte Aufgabe, kraft seines Organisationstalents alle Feierlichkeiten, Termine, Festaufführungen, Empfänge, Ehrungen usw. zu koordinieren. Auf den eigentlich fälligen „historischen Festzug“ hatte man verzichtet und wählte einen ganz anderen Weg, den Wasserweg, einen nächtlichen Schiffskorso auf dem Rhein.

Der Bühnenbildner des Theaters, Heinz Meerheim, erhielt den interessanten Auftrag, Dekorationen zu historischen Szenen der Stadtgeschichte zu machen. Sie wurden auf Brückenpontons der Pioniere montiert und mit entsprechenden Spielgruppen besetzt. Jedes Boot war mit Lautsprechern bestückt und zu den jeweiligen Szenen drang, im Lichtkegel der Scheinwerfer, stilgerechte Musik oder Gesang von den schwimmenden Bühnen zu dem vieltausendköpfigen Publikum am nächtlichen Rheinufer.

Ein einmaliges, schönes Ereignis!

Für die Männer der Zugleitung gab es bei den Vorbereitungen und später am Wasserplatz  sehr viel zu, bis alle Gruppen auf den richtigen Schiffen waren, die auf die Minute genau in die Nacht hinaus geschickt werden mussten. Heinz Meerheim blieb dem Arbeitskreis der Zugleitung erhalten und lieferte noch fast dreißig Jahre lang Ideen und Entwürfe zu vielen Motivwagen.

Zu den Besprechungen traf man sich im MCV-Haus, meist bei dichtem Tabakdunst. Dort waren im engen Keller auch die Schließkörbe der Kammer, Requisiten, Schwellköpp und andere wieder verwertbare plastische Teile zusammengepfercht, bis im Januar 1969 endlich die große Wagenhalle auf der Ingelheimer Aue eingeweiht werden konnte.

Wieder eine neue Epoche!

Zwei Jahre später übernahm Friedel Eberhard den Vorsitz der Zugleitung.

Die Wagenbauer konnten endlich die Strapazen der vergangenen Jahre vergessen. Spezialisten wie Lipp oder Drössel wirkten nun schon in der zweiten oder gar dritten Generation bei der Gestaltung mit. Mit der Zeit haben sich die Arbeitsmethoden zwar etwas verändert, zum Beispiel durch das leicht zu bearbeitende „Styropor“, dennoch wird weiterhin fleißig gegipst, gekleistert und mit allem möglichen gezaubert. Dieter Wenger, der Einfallsreiche, ist hier seit Jahren in seinem Element, unterstützt von emsigen Helfern.

Unauffällig strickt der Zugmarschall am kommenden Rosenmontagszug. Zuschriften und Anfragen sind zu beantworten, Kontakte aufzunehmen und zu pflegen und das schon zu Zeiten, wo von der übrigen Zugleitung kaum einer an die nächste Fastnacht denkt. Für die geht es so richtig anfangs November los. Ideengespräche, erste Skizzen, heiße Debatten. (Das meiste streicht sowieso der Rechenstift.) Organisatorische Fragen. … Wer inspiziert die auswärts gebauten Wagen von Vereinen oder Stammtischen auf die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen? – Wer kümmert sich um dieses, wer besorgt jenes? Und wenn es erst ans Verseschmieden für das Zugprogramm geht. Jeder ist hier gefordert, vom Benjamin bis zum Nestor Guido Schué, dem Spezialisten für Prinzen- und Komiteewagen, der schon 1938 beim „Hundertjährigen“ den „Hofzug des Prinzen“ gestaltet hatte.

Der „Alte Fritz“ war es wohl, dem die Mitwirkung seiner Sangesbrüder vom „Mainzer Liederkranz“, heute „Chorvereinigung Cäcilia-Liederkranz“, als umsichtige Zugordner zu verdanken ist; auch eine alte Tradition, die sich bis heute bewährt hat. Dazu stieß später noch der „Vespa-Club“ mit seinen flinken Flitzern.

Unverzichtbarer Helfer ist auch lange schon das Mainzer Arbeitsamt für die Vermittlung der Fahnen-, Embleme- und Schwellkoppträger. Konrad Rück, der schon über vierzig Jahre im Hintergrund für einen geregelten Ablauf sorgt, erinnert sich noch an Zeiten, in denen, im Gegensatz zu heute, problemlos 300-400 Personen auf die Beine zu bringen waren.

Wie sehr sich die Zeiten ändern, zeigt sich auch an der nun leider notwendig gewordenen Verlegung des Zugwegs aus dem zu engen Schlauch der Augustinerstraße. Eine bedauerliche Maßnahme, an die sich die Mainzer und mit ihnen der neue Zugmarschall Ady M. Schmelz ab 1995 vielleicht nur schwer gewöhnen werden. – Wer weiß?

Es wird übrigens die 35. Veränderung des Zugwegs seit 1838 sein.

Wieder eine neue Epoche.

Friedel Eberhard und Ady Schmelz beim Abzählen des Wurfmaterials

Überarbeitung: Herber Kirchgeßner, Ady M.Schmelz, 2008