Die Stadt Mainz, der MCV und die Fastnacht
eine unzertrennliche Einheit 1838 - 1848
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1838 beschlossen Mainzer Bürger die Fastnacht „in besserer Ordnung und edlerem Geschmack“ zu feiern und gründeten den Mainzer Carneval-Verein. Die moderne Mainzer Fastnacht - mit Sitzungen und Rosenmontagszug, mit Theaterposse und Prinzenpaar, mit Orden und Kappe - war geboren. Sie entwickelte sich zu dem charakteristischen städtischen Volksfest, das zugleich nationale und internationale Ausstrahlungskraft besitzt. Die Fastnacht hat das Erscheinungsbild der Stadt Mainz entscheidend mitgeprägt. Für viele Fremde sind die Begriffe „Mainz“ und „Fastnacht“ deckungsgleich. Denn die Fastnacht ist ein Bestandteil der Mainzer Geschichte. Sie hat die Geschichte der Stadt Mainz mitgeformt, sie hat auf die Verhältnisse eingewirkt und wurde ihrerseits in einer Art Wechselwirkung von diesen wieder beeinflußt.
Das beginnende Industriezeitalter und die Vereinsgründung im Vormärz
Die moderne Mainzer Fastnacht entstand in der Zeit des Biedermeier, in einer Zeit also, die an bürgerliche Idylle, Behaglichkeit und Gemütlichkeit erinnert. Fabriken entstanden, die Dampfkraft breitete sich aus. die Mechanisierung stand vor den Toren, die Bevölkerung wuchs. Der Glaube an den Fortschritt war ungebrochen. Die Franzosen hatten mit der Mainzer Republik von 1792/93 den ersten demokratischen Versuch auf deutschem Boden ausgelöst. Sie hatten eine vorbildliche Justizverfassung gebracht, eine moderne Verwaltung, auch die kommunale Selbstverwaltung, auf der die heutige Rheinische Bürgermeistereiverfassung fußt. Und sie hatten, dem Besitzbürgertum, politische Mitspracherechte eingeräumt. Die bürgerliche Gesellschaft begann zu entstehen. In der hessischen Zeit – 1816 war Mainz mit seinem Hinterland an das Großherzogtum Hessen gekommen und Hauptstadt der Provinz Rheinhessen geworden – blieben die in französischer Zeit geschaffenen Grundlagen weitgehend erhalten, waren aber zunehmend gefährdet. Auf dem Hambacher Fest von 1832, der Versammlung von Demokraten und Liberalen, war Mainz mit einer großen Abordnung vertreten gewesen. Mainz war nicht nur hessische Provinzialhauptstadt, sondern, seit 1815, auch Festung des Deutschen Bundes, in der die beiden Großmächte Österreich und Preußen Garnisonsrecht hatten. Mainz war in den dreißiger Jahren eine Stadt am Beginn des Gärungsprozesses, in dem das Industriezeitalter heraufzog. Noch stark mittelständisch geprägt, war sie doch die industriell am weitesten entwickelte Stadt des Großherzogtums. Um die „revolutionären Umtriebe“ in Deutschland einzudämmen, hatte der Deutsche Bund 1832 und 1834 verschiedene Gesetze gegen die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit erlassen. Diese Gesetze fanden im Großherzogtum Hessen strenge Anwendung. Und Mainz, die größte Stadt des Großherzogtums, bekam das Mißtrauen des Darmstädter Ministeriums besonders zu spüren, ein Mißtrauen, das bestärkt wurde von den beiden Großmächten im Deutschen Bund: Österreich und Preußen. Sogar die Feierlichkeiten bei der Enthüllung des Gutenberg-Denkmals 1837 lösten in Darmstadt Furcht aus. In der alten Gesellschaftsordnung vor der Französischen Revolution hatten die Menschen Korporationen angehört, die durch Geburt und Stand festgelegt waren. Zünften und Gilden, in die der Mensch in Beruf und Freizeit eingebunden war. An ihre Stelle trat nun der Verein auf der Basis eines freiwilligen Zusammenschlusses. Man konnte ein- und austreten und mehreren Vereinen zugleich angehören. Das Vereinswesen wurde im 19. Jahrhundert zu einer das Zeitalter prägenden Kraft. Und die Fastnacht? Sie wurde mit privaten Bällen und mit Bällen im Theater gefeiert, mit Maskentreiben auf den Straßen und in Kneipen. „Nur Kinder und ältere Leute aus den untersten Volksklassen“, so erinnerte sich der Politiker Ludwig Bamberger an seine Kindheit in den dreißiger Jahren, „zeigten sich auf den Straßen“. 1823 hatte in Köln eine Reform der Fastnacht stattgefunden, organisiert von den „Besseren“, wie Joseph Klersch einen Mitbegründer zitiert, von dem Besitz- und Bildungsbürgertum nämlich. Mit der Redoute, dem Prinzen Karneval im Rosenmontagszug und den Sitzungen wurde der fortan gültige Rahmen der Fastnacht vorgegeben. Da zwischen Mainz und Köln mannigfache Geschäftsverbindungen bestanden und beide Städte in Konkurrenz zueinander standen, kannten die Mainzer die neue Kölner Fastnacht.
Der MCV und die Ranzengarde
Die Gründung der Ranzengarde und die Gründung des Mainzer Carneval-Vereins sind eng miteinander verknüpft. Querverbindungen bestätigen die Zusammenhänge. Von den 37 Ranzengardisten, die 1838 den ersten richtigen Rosenmontagszug begleiteten, sind 30 namentlich bekannt, 15 von ihnen gehörten auch zu den Mitbegründern des MCV. Gründungspräsident des MCV war der Fabrikant Karl Michel.
Die Genehmigung im Blitzverfahren
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Das Genehmigungsverfahren, das der eigentlichen Gründung des MCV folgte, wurde „verdächtig“ schnell angewickelt: zwischen den Gründern und den Behörden muß es Absprachen gegeben haben. Am 19. Januar 1838 bat das bereits gewählte Komitee den Freiherrn Ludwig von Lichtenberg, den Leiter des Kreisamtes Mainz und Regierungspräsidenten der Provinz Rheinhessen, um Genehmigung der ebenfalls auf den 19. Januar datierten Statuten. Am 22. Januar 1838, genehmigte Lichtenberg die Statuten des MCV. Schon am 24. Januar erschien in der Mainzer Zeitung die Einladung zur Generalversammlung am folgende Tag, dem 25. Januar, im Saal des Römischen Königs in der Grebenstraße. Eintrittskarten, „welche die Mitgliedschaft begründen“, waren für 3 Gulden 30 Kreuzer, „die Ordonanz-Gecken-Kappen“ für 1 Gulden bei dem Schatzmeister des Vereins und Mitglied des Komitees Bernhard Göttig in den Domläden zu haben. Diese 4 1/2 Gulden waren eine stolze Summe. Es gab Arbeiter, die diesen Betrag als Wochenlohn erhielten. Am 28. Januar fand, diesmal im Hof zum Römischen Kaiser, eine Versammlung derjenigen „Carnevals-Mitglieder“ statt, die „sich bei dem Maskenzug als aktiv beteiligen wollen“. Am 9. Februar beantragte Karl Michel als Präsident des MCV die Genehmigung des geplanten Fastnachtsmontagszugs, die auch prompt erteilt wurde. Lediglich der für den Fastnachtssonntag vorgesehene Fackelzug wurde von dem Vizegouvarneur der Bundesfestung von Müffling aus Sicherheitsgründen verboten. Ebenfalls am Fastnachtssonntag wurde im neuen Stadttheater – zum Besten der Armen – erstmals eine Posse, „Hamlet, Prinz von Liliput“, aufgeführt und am folgenden Tag, dem 26. Februar 1838, zog der erste richtige Rosenmontagszug durch Mainz, der vorerst noch den Namen „Maskenzug“ führte, angeführt von der mit ihren neuen Uniformen ausgestatteten Ranzengarde. Am Fastnachtsdienstag unternahm der MCV eine Kappenfahrt. Damit war die moderne Mainzer Fastnacht geboren. Schon in ihrem Gründungsjahr wies sie alle Elemente auf, die auch heute noch Bestandteile der Mainzer Fastnacht sind: Sitzung, Posse, Orden und Kappe, Zug und Kappenfahrt.
Köln und Mainz, die Fastnachtsschwestern
Die Publizistik hob in den Jahren nach der Gründung des MCV triumphierend darauf ab, daß das Vorbild für die neue Mainzer Fastnacht die Kölner Reformfastnacht seit Mitte der dreißiger Jahre unter Spannungen litt, was in den vierziger Jahren zur Spaltung führte. In die Kölner Oberschicht, den Träger der Reformfastnacht, rückten von auswärts kommende Familien auf, die an der Fastnacht nicht interessiertwaren. Andererseits erstarkte der Mittelstand und drängte in die Fastnacht. Hinzu kam die Unruhe im Zusammenhang mit dem Streit des preußischen Staates mit der katholischen Kirche wegen der Mischehenfrage, in deren Verlauf der Kölner Erzbischof Droste-Vischering verhaftet worden war. Noch in der Kampagne 1838 jubelte „Das Rheinland: Köln du bist tot!“. Köln habe, so hieß es, dem Prinzen Karneval den Laufpaß gegeben, als es gemerkt habe, Schwester Moguntia werde es im ersten Anlauf überholen und Köln zum Stiefkind machen. Kannibalischer Ärger werde über die Schwesterstadt kommen, wenn im Narrenbereich von einem Ende zum anderen widerhallen werde: „Siehe! Mainz ist meine auserwählte Tochter, an der ich mein Wohlgefallen habe“. Von Köln übernahm Mainz die Sitzungsfastnacht, die Posse, den Zug, die Garde und die Kappe. Man deutete dies als formale Übernahme, als oberflächliche Verwandtschaft.
Der politische Anfang der Mainzer Fastnacht
In den Sitzungen wechselten Lokales, Kokolores und politische Vorträge in bunter Reihenfolge. Lokale Themen der vierziger Jahre waren Spaziergänge durch die Mainzer Straßen. Die Narrenkappe wurde als Phrygische Mütze der Jakobiner gedeutet, obwohl sie damals ihre Form jährlich wechselte. Das Komitee bestand noch nicht aus elf, sondern aus acht Personen. Wenn es eine Anspielung auf die Politik gab, dann lag sie im Bereich der Komiteewahlen, denn die Mitglieder des MCV wählten zunächst 22 Wahlmänner, die dann das achtköpfige Komitee bestimmten und diese Mehrstufigkeit entsprach den Wahlen zur zweiten Kammer des Landtags. In den vierziger Jahren politisierte sich der MCV und spiegelte so den Zustand der allgemeinen politischen Lage am Vorabend der Märzrevolution wider. Die eigentliche Politisierung des MCV begann 1843/44, als der spätere Landtags- und Paulskirchenabgeordnete, der Rechtsanwalt Dr. Franz Zitz, Präsident des MCV wurde und der Jurist und Demokrat Philipp Wittmann als einer der beiden Sekretäre ins Komitee einzog.
Die ersten Konflikte mit der Obrigkeit
Die Politisierung führte natürlich zu Konflikten mit den Behörden. Ein Spottgedicht Kalischs in der Narrhalla von 1844 auf König Ludwig I. von Bayern, ein gegen die verstorbene Herzogin Elisabeth von Nassau gerichteter Wagen im Rosenmontagszug von 1845, eine Beschwerde des österreichischen Gesandten in Darmstadt an Staatskanzler Metternich über die Sitzungsfastnacht 1846 bedrohten sogar die Existenz des Vereins, der sich aber stets von solchen einzelnen Vorkommnissen distanzieren konnte. Gefahr drohte dem MCV in Mainz vorübergehend auch von innen. Die Kampagne von 1845 wurde von vielen als enttäuschend bezeichnet. Und trotz großer Bedenken aus Darmstadt konnte Bürgermeister Nack die jährliche Genehmigung der Statuten und des Programms für die Kampagne 1846 durchsetzen.
Das soziale Engagement des MCV
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Auch das soziale Engagement des MCV war beträchtlich: Die Einnahmen von Eintrittskarten für die Posse wurden an Bedürftige verteilt. 1845 ging eine Spende von 1200 Gulden an die von der Überschwemmung Betroffenen und 1847 bei der verheerenden Hungersnot, flossen 1400 Gulden an Bedürftige, die Fastnachtsveranstaltungen fielen aus. 1848 fanden unter der Präsidentschaft von Wilhelm Trunk im Frankfurter Hof planmäßig einige Sitzungen statt. Dann beendete die Politik das närrische Treiben. Am 1. März sagte der MCV die für die Fastnachtstage vom 5. bis 7. März vorgesehenen Veranstaltungen ab. Die Revolution von 1848 war ausgebrochen. In den Frankfurter Hof zog ein anderes Publikum ein.